Mittlerweile haben alle Bundesländer Verbote öffentlicher Veranstaltungen mit mehr als fünf Personen erlassen. Das bedeutet de Facto, dass ein Auftritt von Künstlern nicht mehr erlaubt ist. Alle Veranstaltungen in den kommenden Wochen werden abgesagt.
Für viele gegen Honorar tätige Künstler entstehen hierdurch erhebliche, nicht selten existenzbedrohende Einnahmeausfälle. Gibt es hier Ansprüche gegen den Veranstalter/Auftraggeber? Oder hilft § 56 Infektionsschutzgesetz weiter, der Entschädigungen auch für Selbständige vorsieht?
Ansprüche gegen den Veranstalter?
Wenn die Absage der Veranstaltung auf „höherer Gewalt“ beruht, hat der Künstler gegen den Auftraggeber in der Regel keinen Entschädigungsanspruch (es sei denn, es wurde vertraglich ein Ausfallhonorar auch für diesen Fall vereinbart).
Ob ein behördliches Verbot der Veranstaltung tatsächlich einen Fall der „höheren Gewalt“ darstellt, wird sicherlich unter Juristen im Fall des Corona-Virus noch weiter diskutiert werden. Höhere Gewalt, so sag der BGH, ist ein „von außen kommendes, nicht voraussehbares und auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“. Hierzu gehören zum Beispiel Naturkatastrophen, Terroranschläge oder Kriege. Die Untersagung von Veranstaltungen wegen der Gefahr der Ansteckung mit COVID-19 war meiner Meinung nach nicht vorhersehbar und auch nicht abwendbar.
Somit muss der Auftraggeber den Künstler nicht bezahlen, da er wegen der „höheren Gewalt“ für die Absage der Veranstaltung nicht verantwortlich ist.
Also halten wir als Zwischenergebnis fest, dass der Künstler gegen den Veranstalter bzw. Auftraggeber keinen Ersatzanspruch hat (aber nur dann, wenn die Veranstaltung offiziell untersagt ist, für abgesagte Veranstaltungen vor der offiziellen Untersagung kann ein Anspruch bestehen!).
Ansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz?
Gibt es dann wenigstens Entschädigungsansprüche nach den Infektionsschutzgesetz (IfSG)?
Die Allgemeinverfügungen, nach denen alle Veranstaltungen über 5 Personen verboten sind, sind auf § 28 Infektionsschutzgesetz gestützt. Dieser Paragraph greift als Rechtsgrundlage aber für derart weitreichende und umfassende Verbote nur, wenn alle Personen als „Ansteckungsverdächtige“ eingestuft werden. Wenn also die Verbote auf dieser Grundlage beruhen sollen, dann folgt daraus, dass alle Personen als Ansteckungsverdächtige angesehen werden.
Dann wiederum kann aber auch ein Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG in Betracht kommen. Diesen haben Personen, die als „Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern“ Verboten in der Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit unterliegen oder unter Quarantäne gestellt wurden.
Wenn jeder als Ansteckungsverdächtiger angesehen wird, dann gilt dies auch für den Künstler, der auf der Veranstaltung hätte auftreten sollen. Dann fällt der Künstler grundsätzlich auch unter den Anwendungsbereich der Entschädigungsregelung (und wenn er selbst unter Quarantäne steht ohnehin).
Bleibt nur noch die Frage, ob die Absage der Veranstaltung ein Tätigkeitsverbot für den Künstler darstellt. Ein Tätigkeitsverbot im Sinne des Infektionsschutzgesetzes liegt vor, wenn die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise untersagt wird.
Die staatliche Maßnahme des Verbotes öffentlicher Veranstaltungen mit mehr als 5 Personen und die Untersagung des Betriebs quasi aller denkbaren Locations führt dazu, dass die Rahmenbedingungen für die Ausübung der Tätigkeit „öffentlicher Auftritt“ derart geändert wurden, dass diese nicht mehr möglich ist. Es handelt sich natürlich nicht um ein Verbot des künstlerischen Auftritts als solchem. Auch der mittelbare Eingriff, der diese Tätigkeit unmöglich macht, reicht meines Erachtens dafür aus, ein Tätigkeitsverbot anzunehmen.
Letztlich wird der Künstler daher nach § 56 Infektionsschutzgesetz einen Anspruch auf den ihm wegen des Verbotes von Veranstaltungen entstehenden Verdienstausfall haben.
Der Antrag auf Erstattung muss übrigens innerhalb von einer Frist von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit gestellt werden. Und die Behörde muss einen Vorschuss auf den voraussichtlich als Entschädigung zu leistenden Betrag gewähren.
PS (19.03.2020): Noch eine juristische Erwägung: Es kann auch sein, dass die Annahme, dass jeder als „Ansteckungsverdächtig“ angesehen wird, falsch ist. Nach dem Bundesverwaltungsgericht (https://www.bverwg.de/220312U3C16.11.0) muss dafür die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person Krankheitserreger trägt, wahrscheinlicher sein, als dass sie keine trägt. Ob es bei der gesamten Bevölkerung wahrscheinlicher ist, dass sie mit dem Corona-Virus infiziert ist, als das sie es nicht ist – darüber kann man auf jeden Fall streiten. Sollte dann aber die Annahme des Ansteckungsverdachts falsch sein, so wären die Allgemeineverfügungen hinsichtlich der Schließung bestimmter Veranstaltungsstätten/Geschäfte rechtswidrig, da sie ohne Rechtsgrundlage erfolgt sind. Dann wiederum kann es Schadensersatzansprüche gegen den Staat auf Grundlage des Amtshaftungsanspruchs geben.