Gerade geht eine Welle von nicht-amtlichen Fahndungsaufrufen durch die sozialen Netzwerke – gefunden werden sollen Menschen, die angeblich an den G20-Krawallen beteiligt waren. Nicht zuletzt hat die Bildzeitung Fotos vermeintlicher Krawallmacher veröffentlicht und selbst zur „Fahndung“ aufgerufen.
Mir stellen sich da die juristischen (dazu im ersten Teil dieses Artikels) und moralischen (dazu nur kurz zum Schluss) Haare zu Berge.
Gepostet werden Fotos von Menschen, die teilweise vermummt sind, teilweise gerade Steine werfen oder auch einfach nur so im Bild zu sehen sind. Aufgerufen wird dazu, die Identität dieser Menschen bekannt zu geben.
Ich bin zwar keine Strafrechtlerin, aber ich weiß, dass öffentliche Fahndungsaufrufe erst nach Abwägung der Interessen und vor allen Dingen erst nach einem richterlichen Beschluss gestartet werden dürfen. Und das hat selbstverständlich auch seinen Grund. Bei den nicht offiziell abgesegneten Fahndungsbildern stellt sich schon mal das grundsätzliche Problem, dass nicht nachvollziehbar ist, in welchem Kontext die Fotos aufgenommen wurden. An welchem Ort, zu welcher Zeit? In welcher konkreten Situation? Wurde der Stein, der in der Hand gehalten wird, vielleicht aus Notwehr geworfen?
Handelt es sich bei den Abgebildeten um Personen, welchen kein Vergehen oder Verbrechen vorzuwerfen ist, so stellen diese Fahndungsaufrufe eine Persönlichkeitsrechtsverletzung dar. Diese wiegt meines Erachtens dann so schwer, dass sogar eine Geldentschädigung gerechtfertigt ist. Und: wer sich diese Aufrufe durch „Teilen“ zu eigen macht (Details dazu folgen in einem gesonderten Artikel), ist ebenfalls Täter einer Persönlichkeitsrechtsverletzung.
Aber selbst wenn die Personen tatsächlich strafrechtlich zu belangen sind, dann ist die Aufdeckung der Identität das Sache der Strafverfolgungsbehörden – und das nach gründlicher Abwägung, ob eine öffentliche Fahndung wirklich angemessen ist (der Richter und so…siehe oben).
Die Veröffentlichung von Bildern von Personen mit der Betitelung, dass diese an Krawallen beteiligt waren und daher die Identität ermittelt werden muss, ist auch im Rahmen tagesaktueller Berichterstattung nicht gerechtfertigt. Dadurch, dass zu einer Fahndung aufgerufen wird, wird eine Vorverurteilung ausgesprochen. Eine derartige „Berichterstattung“ kann existenzvernichtend sein. Selbst wenn ein Verdacht besteht, dass die abgebildeten Personen Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen begangen haben, so darf auch lediglich der Verdacht geäußert werden. Bei den meisten Fahndungsaufrufen und auch bei der Berichterstattung der Bildzeitung wurde jedoch konkret nach „diesen G20-Verbrechern“ gesucht. Diese Betitelung geht deutlich über die Formulierung eines bloßen Verdachts hinaus. Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob die Bilder überhaupt unverpixelt veröffentlicht werden dürfen – eine weitere Frage der Abwägung.
Jetzt das Moralische zum guten Schluss: zerstörte Autos und Geschäfte sowie Körperverletzungen sind nicht vertretbar und haben mit politischem Protest nichts zu tun. Aber: die Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann ebenfalls einen großen, nicht so einfach durch Geld oder medizinische Behandlung wieder gutzumachenden Schaden anrichten – und ist deshalb ebenso wenig vertretbar. Beide Szenarien erinnern mich eher an den wilden Westen als an einen demokratischen Rechtsstaat.